Verleihung des Versöhnungspreises 2024
Der Preisträger des Versöhnungspreises 2024, Shai Hoffmann, mit der Stifterin Malu Dreyer und dem Stifter Klaus Jensen.
Verleihung des Versöhnungspreises der Klaus Jensen Stiftung am 27.09.2024 in den Viehmarktthermen Trier
Der Preisträger Shai Hoffmann und die zugeschaltete Preisträgerin Johanna Hassoun
Laudatio von Prof. Dr. Eva Walther, Sozialpsychologin, Universität Trier
Liebe Malu Dreyer, lieber Klaus Jensen, lieber Stiftungsbeirat, liebe Anwesende, liebe Preisträgerin, lieber Preisträger!
Es ist mir eine große Ehre und außerordentliche Freude heute die Laudatio für den Versöhnungspreis der Klaus Jensen Stiftung halten zu dürfen.
Mit dem Versöhnungspreis wird – ich darf hier zitieren, „das internationale, zivilgesellschaftliche Engagement im Rahmen ziviler Konfliktbearbeitung gewürdigt, Zeichen gegen alle Formen der Gewalt zu setzen und zu einer Kultur der Gewaltfreiheit und Versöhnung beizutragen».
Dieser Preis wird heute vergeben um zwei außergewöhnliche Menschen zu ehren, zwei Menschen, die sich in besonderer Weise für die Verständigung und Versöhnung zwischen Israel und Palästina einsetzen.: Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann.
Als Ich gefragt wurde, ob ich die Laudatio für die beiden halten möchte, dachte ich zuerst: Oh oh – Das ist ein Risiko. Man kann bei Menschen, die den Nahostkonflikt thematisieren so viel Falsches sagen. Man kann so viel Falsches sagen, um Menschen zu loben, die das richtige tun.
Und dann dachte ich. Naja, die beiden Preisträger Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann machen unermüdlich genau das: Sie tun das Richtige, sie sprechen über das vielleicht schwierigste Thema, dass es aktuell in der Welt gibt. Über den Nahostkonflikt. Sie trauen sich das. Sie zeigen großen Mut. Sie glauben unerschütterlich an die Kraft des Dialogs, sie bauen Brücken zwischen den Kulturen, sie schaffen sie Platz für Menschlichkeit.
Ich hoffe Sie fragen sich jetzt: Wer sind die beiden und wie machen die beiden das?
Wer sind diese beiden?
Jouanna Hassoun ist Tochter palästinensischer Geflüchteter aus dem Libanon. Sie ist als Kind wegen des Bürgerkriegs im Libanon nach Deutschland gekommen. Jouanna Hassoun hat zahlreiche Initiativen und Projekte mitgegründet, darunter im Jahr 2015 den Bildungsverein Transaidency e.V., der sich der humanitären Hilfe widmet. Zudem initiierte Sie das Projekt „Make Hummus Not Walls„, das sich mit dem Israel-Palästina-Konflikt beschäftigt und kürzlich erst das Projekt “Brücken Bauen”.
Sie hoch dekoriert. Unter anderem mit dem Landesverdienstorden von Berlin für ihr bürgerschaftliches Engagement.
Shai Hoffmann
Shai Hoffmann ist Sohn israelischer Eltern Sozialunternehmer und Aktivist. Als Geschäftsführer der gemeinnützigen Gesellschaft im Wandel UG realisiert er aktivistische sowie politische Bildungsprojekte. Er initiierte die Israel-Palästina-Bildungsvideos und ist Moderator des Podcasts „Über Israel und Palästina sprechen“ und initiierte das gleichnamige Tiny House-Projekt, um auf öffentlichen Plätzen mutige Räume zu schaffen, in denen die Menschen in den Dialog über den Nahostkonflikt treten können. In seinem Podcast geht es darum, die Vielfalt der Meinungen zu diesem komplexen Thema in unserer deutschen Gesellschaft sichtbar zu machen.
Es klingt schon durch, die beiden sind Versöhnungsaktivisten. Und nun die Antwort auf die Frage, was machen die das – Brücken bauen? Beide zusammen – Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann haben das Trialog Format entwickelt.
Trialog
Das Trialog-Format ist ein multiperspektivisches Gesprächsformat. Seit dem Ausbruch des Krieges in Israel und Gaza am 7. Oktober 2023, besuchen Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann Schulen deutschlandweit, und sprechen mit Schülerinnen und Schülern über den Nahostkonflikt. Es ist schon besonders, dass Jouanna Hassoun die Tochter palästinensischer Geflüchteter aus dem Libanon, und Shai Hoffmann, Sohn israelischer Eltern gemeinsam dieses Format anbieten und damit allen zeigen: jenseits von Grausamkeiten und Krieg gelingt es auf menschlicher Ebene, auf der Basis von Vertrauen, Respekt und Zuneigung, herausragende gemeinsame Versöhnungs-Projekte zu organisieren.
Warum ist das Format so bemerkenswert? Der 7 Oktober und alles, was seitdem passiert hat uns alle, aber besonders die jungen Menschen zutiefst erschüttert. Sie finden sich emotional unversehens zwischen den Frontlinien wieder. Das haben wir auch bei unseren Studierenden gesehen. Sie fühlen sich unter Druck gesetzt, sich für eine Seite entscheiden zu müssen, sich also damit gegen eine andere Seite entscheiden zu müssen. Dieser scheinbaren emotionalen Zwangslage fühlen sich viele nicht gewachsen. Das Risiko in einer solchen Situation wächst, sich von dem Schmerz zu befreien und sich in Parteiligkeit zu flüchten.
Genau hier – bei dem Druck, dem Schmerz und der Hilflosigkeit (die jungen Leute sagen eher sie seien „lost“) setzen die beiden Preisträger an. Sie holen die jungen Menschen dort ab, wo sie sind. Mit ihren Ängsten, Sorgen, Verzweiflung, oft auch mit ihrer Wut. Sie hören zu, sie schaffen explizit einen Safe Space für Gefühle, für starke Emotionen. Damit ebnen sie Raum für zutiefst menschliche Begegnungen. Auf dieser Basis können Vorurteile überwunden werden.
Deshalb ist dieses Format genau in dieser Art und Weise Gold wert – ich kann es nicht genug loben. Denn es hilft Vorurteile abzubauen. Vorteile werden von Ängsten und von Unsicherheit getrieben. Vorurteile aufzugreifen, zu bearbeiten, aufzulösen ist effektive und hochkluge Präventionsarbeit. Und mal ehrlich- Vorurteilen entgegenzuwirken und – das sage ich jetzt als Sozialpsychologin – das ist auch zukunftsperspektivisch die einzige Chance, die wir haben.
Vorurteile sind toxische Ecken in den emotionalen Randlagen unseres Bewusstseins. Wir merken oft nicht wie sehr sie uns beeinflussen. Vorurteile werten nicht nur — sie werten ab. Sie sprechen Verletzlichkeit ab, sie sprechen Menschlichkeit ab. Vorurteile lassen uns vergessen, dass die andere Seite genauso fühlt, hofft und liebt wie wir.
Den selben Schmerz trägt wie wir, dieselbe Angst vor Krieg und Gewalt hat wie wir. Vorurteile vernebeln unsere Urteilskraft. Sie ver-leiten unseren Verstand. Sie deformieren unser Verhalten.
Wir sehen das auch in anderen Konfliktzonen – wie der aktuellen Migrationsdebatte. Wenn Vorurteile nicht aufgegriffen und nicht bearbeitet werden, lassen sie sich politisch steuern und instrumentalisieren.
Doch Vorurteile sind nicht nur gefährlich für die, gegen die sie gerichtet sind, sie sind es auch für uns selbst. Sie schaffen permanente Feindbilder und Frontlinien – sie lassen uns innerlich erstarren, wie sollen wir dann in Frieden leben?
Dem Trialog Format sollten wir den allergrößten Respekt zollen. Es ist ein schweres Projekt. Es setzt voraus, dass sich beide Akteure nicht nur selbst sehr gut kennen, sondern auch dass sie selbst Zugang zu ihren Emotionen haben, über sie sprechen können, dass sie durchlässig sind für andere (so nennt das die Psychologie), dass sie in der Lage sind, die Emotionen anderer auszuhalten und auch konstruktiv mit Ihnen umzugehen.
Wir alle wissen, wie schwierig das ist und wie groß die Versuchung ist, emotionale Prozesse nicht zuzulassen und so zu tun, als könnten wir alles rein kognitiv lösen.
Das ist vielleicht einer der größten Irrtümer, dem wir aufsitzen, auch in der Bildungsarbeit, in der Arbeit zur Demokratieförderung, dass wir glauben, die Menschen müssten nur die richtigen Informationen verarbeiten und schon hätten Sie eine andere Haltung, eine andere Einstellung. Wir müssten ihnen etwa nur die Vorteile der Demokratie nahbringen und schon hätten wir stramme Demokrat:innen vor uns.
In Wirklichkeit sind es aber die positiven Emotionen, die Begeisterung, die wir schüren, die Solidarität und die Selbstwirksamkeit, die wir erleben müssen, damit Menschen sich für die Demokratie einsetzen.
Das zu erzeugen, ist ein sehr viel schwierigeres Unterfangen. Wir müssen die Demokratie spüren. Vielleicht müssen wir sie auch tanzen.
Wer hilft Vorurteile abzubauen, und ich habe gerade versucht zu beschreiben, wie beschwerlich und mühsam das ist, öffnet aber die Tür zu echter Begegnung, zu echtem Verstehen. Wir können erkennen, dass der andere nicht der Feind ist, sondern ein Mensch, der oder die wie wir nach Sicherheit, nach Anerkennung und nach einem Leben ohne Angst strebt. Vorurteile schaffen Trennung, aber Menschlichkeit schafft Verbindung und wunderbare Projekte wie das Trialog Projekt.
Shai Hoffmann und Joanna H. haben das begriffen. Indem sie mit unfassbar großem Herzen diese Gespräche führen und Brücken bauen, sind sie nicht nur Vorbild für viele, sie geben auch uns allen eine Chance in einem zukünftig besseren Deutschland zu leben. Denn diese jungen Leute mit den sie sprechen, werden in diese Republik hineinwachen, wie sie denken und fühlen, wird entscheidend für die Zukunft sein.
In einem Video sagt Shai so richtig. Vielleicht heißt ein zukünftiger Bundeskanzler nicht mehr Olaf, sondern Ali oder Jonathan. Ich möchte hinzufügen vielleicht sogar Amira oder Miriam?
Das Trialog Format ist so erfolgreich, dass aktuell Trialog-Pat*innen-Netzwerk ausgebaut wird, um den großen Bedarf an Gesprächen zu bedienen.
Gemeinsam verkörpern diese beiden Aktivisten die Essenz dessen, was hilft Konflikte zu überwinden: den Mut, sich für das einzusetzen, was richtig ist, die Entschlossenheit, trotz aller Widrigkeiten an einer besseren Zukunft zu arbeiten aber auch ein großes Herz und große Begeisterung.
Sie zeigen uns, dass Frieden kein Ziel, sondern eine Reise ist, die das aktive Streben nach Empathie, Verständnis, Respekt und Zusammenarbeit erfordert.
Lieber Shai, liebe Joanna! Ich hoffe Eure Reise wird weitergehen, und uns weiter inspirieren. Ihr seid Brückenbauer, die Geschichtenerzähler:innen, Hoffnungsträger. Versöhnung ist immer ein emotionaler Prozess. Ihr habt das verstanden.
Versöhnung ist nicht das Vergessen oder Akzeptieren von Unrecht, sondern eine aktive Entscheidung, die Vergangenheit zu verarbeiten und konstruktiv in die Zukunft zu blicken.
Eine Zukunft in Frieden bedeutet eine Welt, in der Unterschiede als Bereicherung der sonstigen Gemeinsamkeiten gesehen werden.
Frieden ist mehr als ein Wunsch – es ist ein „seelisches Verlangen, das uns alle eint, über alle Grenzen hinweg“!
Genau dafür steht ihr. Diese Vision der Zukunft muss die Agenda unserer Gegenwart prägen